Wasty Präsentiert: Der Tod Ist Angemeldet

Der Strassenmusikant

Sanft fielen die ersten Schneeflocken vom wolkenbehangenen Himmel. Da wir uns aber an einem Nachmittag mitten in einer Grosstadt im Einkaufsviertel befinden und zugleich viele Leute die ersten Weihnachtsgeschenke aussuchen gingen, verwandelte sich der Schnee gleich in glitschigen, nassen Matsch, dass es eine reine Freude war, wasserfeste Stiefel zu tragen, um gegen die wuchtig spritzenden Schritte der Mitmenschen gefeit zu sein, die mit unermüdlichem Eifer versucht waren, den nassen Häufchen auszuweichen. Dies führte dazu, dass die, welche in eine mehr oder weniger matschfreie Stelle traten, einfach Glück hatten, die anderen sahen sich deswegen aber gezwungen, auf die Schneematschhäufchen zu stampfen, dass diese auseinanderspritzten und sich nebenan wieder aufhäuften, was lediglich eine Verlagerung des Problems bewirkte.

All dies störte David Birk wenig. Er sass auf einer Wolldecke unter dem Vordach eine Restaurants und sang zu seinem Gitarrengeklimper. Er sah sehr konzentriert aus. Obwohl es kalt war, trug er keine Handschuhe, damit er besser spielen konnte. Die schmutzigen Kleider hinderten einige Passanten nicht, eine Münze in den zerbeulten Hut am Boden zu werfen. Viele hörten auch nur kurz zu und gingen gleich weiter, was bei dem Wetter eigentlich auch nicht sehr verwunderlich war. Da und dort hörte man auch mal böse Worte wie "Gammler" oder "wohl zu faul zum Arbeiten", doch im allgemeinen waren seine Zuhörer guter Laune.

Nur ein Kellner des Restaurants konnte ihm überhaupt nicht leiden. Er war schon oft herausgekommen, hatte ihn ausgeschimpft oder mit dem Schneematsch beworfen. Einmal hatte er ihm auch den Hut umgeworfen, zur Belustigung der Zuhörer. Wenn er mit dem verdienten Geld einen Kaffee trinken wollte, bekam er diesen meistens nicht. Er war ja nur ein armer Strassenmusikant, der auf seiner Gitarre am Nachmittag seine wenigen Lieder vorspielte, die er nicht einmal selbst komponiert hatte. Keiner wusste etwas über ihn. Niemand konnte sich vorstellen, woher er kam. Sollte er sich doch zum Teufel scheren.

Nach dem nächsten Lied machte er eine Pause, in der er das Geld einsammelte und in die Tasche leerte. Dann zog er eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. Er blickte der Strasse entlang. Überall waren beleuchtete Schaufenster. Als er sich wieder aufgewärmt hatte und gleich weiterspielen wollte, erschien der Kellner mit grimmiger Miene.

"Wenn Du nicht gleich von hier verschwindest, Du Miesling, dann dreh ich Dir die Gurgel um, dass Du Deine Knochen im Schnee suchen kannst!" Du vertreibst mir die Kunden, Du stinkiger Hund!" schrie er.

Als sich die ersten Leute ansammelten, verschwand er schnaubend im Restaurant. Eingeschüchtert spielte der Musikant weiter, bis es Abend wurde und der Schneefall immer dichter wurde. Nach einer Stunde hatte er seine Lieder zum fünften Mal durchgespielt. Er packte die wenigen Sachen zusammen und ging zur nächsten Parkbank...

Am Morgen war er von einer Schneeschicht bedeckt und war von der Kälte geweckt worden. Er stand schnell auf und bewegte sich, um sich zu erwärmen.

Er stellte schnell fest, dass niemand etwas von seiner Habe genommen hatte. Für einen Dollar leistete er sich an einer Stehbar einen heissen Kaffee. Danach begann er, in der Stadt herumzubummeln.

Nach dem Mittag nahm er seine Arbeit vor dem Restaurant wieder auf. Mitten im seinem Lieblingslied, das er mit besonderer Hingabe spielte, kam der Kellner angedampft und packte ihn am Kragen.
"So, mein Bürschchen, jetzt kommst Du einmal mit mir!"
Er riss ihn von seinem Platz hoch und zerrte ihn in den hinteren Teil des Hauses.
"Ich kann Dein Geklimper nicht ausstehen! Man sollte sowas verbieten! Das ist eine Schweinerei, Du Mistkerl! Scheissgitarre! Sich dir eine anständige Arbeit! So etwas von miesem Geschmack! Gitarre!"
Seine Wut war so gewaltig, dass er ein Messer hervorholte und den Musikanten erstach und in die Toilette sperrte. "Er hat es nicht anders verdient, der Gitarrenmensch! Fauler Kerl, hätte sich eben einen anderen Beruf wählen sollen."

Er wischte das Messer sauber, um keinen Verdacht zu erregen. Die Leiche würde er mit den Küchenabfällen der Müllabfuhr überlassen. Das würde nicht auffallen.

Darauf nahm der Kellner seine geliebte Geige und ein Notenheft hervor, nachdem er sich passend gekleidet hatte, und begann, vor dem Restaurant stehend, seine Lieder zu spielen. Seine Kunden sollten durch schöne Klänge angelockt werden. Er wollte für seine Kunden spielen.

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Copyright © November 1981, Wasty, Der Strassenmusikant
Originaltitel: Never mind a singing boy
70 Linien
Vorlesezeit: ca. 5 1/2 Min.

Auch in der Deutschstunde als Aufsatz verwendet. Der neue Deutschlehrer fand es aber solchen Müll, dass er mir nicht mal eine Note gab.

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Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com

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